von Dr. Werner Esser
Über die Anfänge der christlichen Gemeinde Kandel und ihres ersten Kirchengebäudes ist kaum etwas bekannt. Auch wie diese erste Kirche ausgesehen hat, ist nicht überliefert.
Es wird vermutet, dass ein von Römern erbauter heidnischer Tempel an dieser Stelle zu einer Kirche umgebaut wurde und geraume Zeit zur Abhaltung des christlichen Gottesdienstes gedient hat. Auch dies ist aber nur eine Vermutung.
Nach den Fundamentresten, die 1842 beim Umbau gefunden wurden und den Angaben des Maurermeisters Wendland aus Kandel, der nach dem 2. Weltkrieg beim Einbau der Heißluftheizung neben dem Kirchenfundament ein weiteres Mauerwerk von 1,5 m Dicke vorfand, muss es aber schon ein massives Gebäude gegeben haben, dass den Christen vom 11. Jh. an zum Gottesdienst diente.
Im Jahre 1348 wurde in Kandel eine eigene Pfarrei eingerichtet. In der Zeit davor gehörte Kandel zur Kaplanei Steinweiler und wurde von dort aus betreut. Das erste Kirchengebäude, vermutlich eher eine Kapelle, wurde beim Brand des Dorfes 1460 zerstört. 1468-75 erfolgte der Neubau der Kirche. Aus dieser Zeit stammt der gotische Chor. 1509-1519 erfolgte der Bau des Turmes.
In den Kirchenakten im Zentralarchiv der Evangelischen Kirche der Pfalz in Speyer findet sich ein Einzelblatt, dass in einem der älteren Kirchenbücher gelegen haben soll. Auf diesem stehen folgende Notizen:
die Fundation oder Stiftung der Kirche zu Candel ist an einem Stein mit alten Buchstaben eingehauen gewesen, nahe bey der Thüren im Eck bey der Kanzelstaffel:
Ist 7 Jahr an dem Kirchenbau gearbeitet worden ohne Aufführung des Thurmes. Anno Domini MCCCCLXVIII ist dieser Bau angefangen und vollbracht in ... Jahr, in der Ehre Gottes Mutter und des hiesigen Ritters u. Märtyrers Georgen Patron dieses Gotteshauses.
N.B. Im gar kalten Winter ist dieser Stein trucken und schwarzlicht gewesen, wenn das Wetter sich endern wollen ist er weiß worden u. mit subtilem Schnee behengelt. Im Sommer zur Regenszeit hat er geschwitzt; in Winterszeit ist er greulich und trocken zu sehen.
Über den Bau des St. Georgsturmes informiert ein einzelnes Blatt, das dem ersten Kandeler Kirchenbuch beiliegt und im Zentralarchiv der Evangelischen Kirche der Pfalz in Speyer aufbewahrt wird:
1501
Als man zählt nach der hl. Christi Geburt 1501 ist der Glockenthurm zu Candel aufzusetzen angefangen worden. Wie solche Jahreszahl im Glockenthurm an einem Weihewasserstein deutlich eingehauen gesehen und gelesen worden, welcher vergeßen gewesen.
1512
ist der Altar im Chor ausgefertigt worden anno 1512
1519
Anno chri 1519 ist die Bildniß des h. Ritters Georgii gehauen in Stein besonders eingesetzt worden in den Glockenthurm
„Im 1519 Jahr ward ich gesetzt hierher fürwahr“
Daher gilt als sicher, dass im Jahr 1501 mit dem Bau des Glockenturmes begonnen wurde, nachdem in den Jahren 1468 bis 1475 die beiden Gemeindeherren bereits ein neues Gotteshaus “zu der Ehr der Mutter Gottes und des hl. Ritters Georg” erbaut hatten.
Im April des Jahres 1519 wurde der Glockenturm des neuen Gotteshauses an seinem Südportal mit einem Steinbild des Kirchenpatrons als krönender Abschluss geschmückt. Die von gotischem Baldachin überwölbte Figurennische, in der eine Georgsstatue gestanden hat, ist heute leer. Im 30jährigen Krieg zerstört, ist nur ein Stück eines dazugehörigen Drachens vorhanden. Die darunter angebrachte lateinische Inschrift aber lässt die geschichtliche Bedeutung des Kirchenbaues erkennen.
Der Karlsruher Oberlandesgerichtsrat Christ hat um 1875 dieser Inschrift folgenden Sinn gegeben:
„Sowohl auf gemeinsame Anordnung als auf Kosten der ruhmreichen Ludwige, beide Grafen des heiligen Amtes der Pfalz bei Rhein und Vettern aus bayerischem Herzogsstamm, wovon der eine nämlich sowohl des heiligen römischen Reiches Erztruchsess ist, als auch Kurfürst und Reichsverweser über die Hauptländer Deutschlands, Schwaben und die Rheinlande, da Maximilian neulich aus dem Leben geschieden – der andere aber Graf zu Veldenz – wurde dieses Bild des heiligen Ritters Georg im Jahr des Heils 1519 im Monat April gestiftet“
Heraldisch rechts von dieser Inschrift sind die Überreste der im Jahre 1795 durch französische Soldaten verstümmelten kurpfälzischen und Veldenzer Wappen. Am Südportal des Glockenturms erkennen wir unter der Inschriftentafel ein Steinrelief mit dem Brustbild eines bärtigen Mannes, der seinen Kopf mit dem rechten Arm stützt und mit dem linken auf ein Schriftband deutet, auf dem die Worte stehen: „1519 wart ich hergsatzt vor waer“. Die Historiker nehmen mit Sicherheit an, dass es sich um ein Selbstbildnis des Bildhauers, vielleicht auch des Baumeisters handelt. Der frühere Landeskonservator Dr. Medding hat an vorhandenen Steinmetzzeichen und stilistischen Merkmalen nachgewiesen, daß es sich wohl um keinen geringeren handelt, als um den Bildhauer Fritz Hammer, ein Mitglied der bekannten straßburgisch-hagenauer Steinmetzsippe. Ein ähnliches Selbstbildnis befindet sich noch heute im Museum in Hagenau.
Das Einzelblatt, über das der vorige Beitrag informierte, berichtet: „Anno 1540 hat das Wetter u. Donnerstrahl in den gemeldeten Thurm eingeschlagen, dadurch der Kirchenmauer u. dem Thurm ober am Gang und herwärts Klüften gemacht daß mans mit großen starken Eißenstangen u. Klammern faßen müssen. Wie der Augenschein u. Jahreszahl noch zu sehen u. zu lesen ist verbessert worden 1550“. Zur Erinnerung an dieses Unglück wurde an der Südseite des Turmes links vom ersten Turmfenster ein Gedenkstein eingelassen, der folgende Inschrift trägt: „Anno 1549 ist dieser Schaden geschehen, 1550 ist er ausgebessert worden "
Kandel war der Hauptort des ehemaligen Zweybrückischen Unter-Amts Guttenberg, wozu außerdem die Gemeinden Minfeld, Freckenfeld, Vollmersweiler, Niederotterbach, Oberotterbach, Rechtenbach und Dörrenbach gehörten.
Die bereits 1527 begonnene Reformation bekam auf dem Reichstag zu Speyer 1529 eine neue Dynamik und verbreitete sich rasch in der Herrschaft Guttenberg. Die Zweibrücker Herzöge Ludwig II. und Ruprecht befürworteten die Einführung, doch der Mitgemeinsherr Ludwig V. von der Pfalz, ein Reformationsgegner, verhinderte die Anstellung evangelischer Pfarrer. Auch der Bauernkrieg war auch ein erhebliches Einführungshindernis. Mit einem „Ratschlag über lutherisch Handeln, dem Fürsten und Herrn, Herr Ludwig Pfalzgrafen am Rhein etc. gemacht auf dem Reichstage durch S.F.G. Landschreiber Guttenberger Gemeinschaft Jakob Schott“ sollten evangelisch gesinnter Prediger und Gemeindemitglieder unterstützt werden, doch scheiterte die Einführung der Reformation letztlich an Ludwig V.
Aus den vorhandenen gedruckten und handschriftlichen Nachrichten konnte bisher nicht das genaue Jahr ermitteln werden wann die Reformation in Kandel eingeführt und somit die protestantische Pfarrei Kandel gestiftet wurde. Sicher ist, dass im Jahr 1561 ein lutherischer Pfarrer und ein Diakon in Kandel waren2. Vermutlich waren sie die ersten Geistlichen, welche bei der neu gestifteten evangelisch lutherischen Kirchen-Gemeinde das Amt öffentlicher Religions-Lehrer verwalteten. Doch bereits 1555 wird berichtet:3„Als im Jahr 1555 bald nach allgemein bekannt gemachten Religionsfrieden Herzog Wolfgang eine allgemeine Kirchenvisitation in seinen Landen und mithin auch im Guttenbergischen anordnete, waren alle Pfarreyen, daselbst keine ausgenommen, mit Evangelischen Predigern besetzt“.
1In Anlehnung an die Pfarrbeschreibung von 1833
2Schneider, Johann: die Kirchenvisitationen in der Herrschaft Guttenberg, in: Z.Gesch.Obrh. 30, 1878, S. 1-52
3Bachmanns Pfalz-Zweybrückisches Staatsrecht, verlegt 1784, pag. 193
Um das Jahr 1580 wollte Herzog Johann I. von Zweibrücken in der Gemeinschaft Guttenberg und damit auch in Kandel die reformierte Lehre einführen. Die einwandernden Hugenotten waren hierbei eine treibende Kraft. Doch der Gemeinsherr Johann Georg I. von Veldenz, ein eifriger Lutheraner widersetzte sich. Letztlich blieb die Herrschaft Guttenberg lutherisch, während Dörfer in der Nachbarschaft, wie Winden oder Erlenbach, sich dem reformierten Glauben zuwandten.
In den Kirchen der lutherischen Gemeinden blieb der Gottesdienst einfach – eine umfangreiche Liturgie gab es nicht. Der Pfarrer trat ans Pult und stimmte, durch den Schulmeister unterstützt, einen „Psalm“ an, den die Gemeinde – mehr oder weniger – mitsang. Nach dem Gesang folgte eine Predigt über das Evangelium, ein Gebet aus der Kirchenordnung, ein weiterer Gesang und schließlich der Segen.
Sämtliche Gemeinden hatten zu gleicher Zeit die Evangelisch Lutherische Kirchenlehre angenomen und bildeten einen kirchlichen Verein, der zunächst unter der Leitung und Aufsicht eines aus der Mitte der Geistlichen genommenen Seniors (Inspektors) und dann unter dem herzoglichen Konsistorium in Zweibrücken stand. Die Herrschaft Guttenberg wurde durch die Verschmelzung sämtlicher in diesen Gemeinden befindlichen Kirchengütern, Zehnten, Gülten und Kapitalien noch fester geknüpft, woraus die noch heute bestehende Kirchenschaffney Guttenberg entstand.
Die Herrschaft Guttenberg dauerte bis zum Jahr 1816, wobei der königl: bayer: Besitznahme dieser Gegend die drei unteren Gemeinden, nämlich Kandel, Minfeld, Freckenfeld und Vollmersweiler dem Dekanat Germersheim und die oberen Gemeinden nämlich Niederotterbach, Oberotterbach, Rechtenbach und Dörrenbach dem Dekanat Bergzabern zugeordnet wurden.
Der katholische Gottesdienst, der in Kandel seit der Reformation (etwa 1553) unterblieben war, wurde in den Reunionsjahren wieder eingeführt, die katholische Kirche durch Ludwig XIV 1685 wieder hergestellt. Die St. Georgskirche wurde seitdem bis 1958 als Simultaneum benutzt. Die Kirchenbücher der katholischen Gemeinde beginnen 1687 neu.
Über die katholische Pfarrseelsorge vor dem dreißigjährigen Krieg ist fast nichts bekannt, sie betraf in Kandel aber auch nur sehr wenige Familie. Die Zahl der Katholiken wuchs jedoch nach dem Reunionsspruch. Kapuziener aus der Schweizer Ordensprovinz, darunter auch Elsässer, wurden mit der Pfarrseelsorge der Herrschaft Guttenberg betraut. Es war mühsame Arbeit, die paar katholischen Schäflein zu betreuen, die zerstreut in den protestantischen Gemeinden lebten. Ihre Zahl erhöhte sich nur sehr langsam, doch strenge königliche Verordnungen schützen sie in ihrem Wachstum.
Der lutherische Pfarrer Johann Georg Steuernagel muss hinnehmen, dass den Katholiken der Chor des Kirchengebäudes zugesprochen wurde. Die Katholiken beriefen sich hierbei auf den Befehl von Louvois zur allgemeinen Einführung von Simultanen in Orten, in denen sich sieben katholische Familien befinden. Die schriftliche Fassung dieses Befehls wurde aber nie gefunden1. Verschiedene protestantische Historiker vermuten, dass dieser Befehl geheim gehalten wurde, da er den Bestimmungen des Westfälischen Friedens widersprach. Oberamtmann Johann Georg Wimpfen übergab die Kirche zum Mitgebrauch an die Katholiken, obwohl er sich nicht „uff königlichen Brief und Siegel berufen konnte, da er doch nur einen Zettel (vorweisen konnte), den ein Jesuit zu Candel im Wirtshaus geschrieben“ hatte. Dem Katholiken Wimpfen, der aus einem alten Hagenauer Geschlecht stammt, oblag es, die Befehle der königlichen Regierung auszuführen und in weniger wichtigen Sachen selbst zu entscheiden2. Zugleich unterstand er auch den früheren reformierten Landesfürsten, welche jetzt nur noch Territorialherren waren. Der Spagat, einerseits Vertrauensmann am Hof des Fürsten zu sein und andererseits die Lutheraner zu schikanieren, machte ihm offensichtlich keine Probleme.
1Bomberger, P, Bruno: Die Wiedereinführung des katholischen Glaubens in der Herrschaft Guttenberg im 18. Jahrhundert, in: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte, Band 10, Mainz, 1958
2Sitzmann, E.: Dictionär des Hommes célèbres d'Alsace. Risheim 1910, Seite 1003
Im Jahr 1689 brach der sogenannte pfälzische Erbfolgekrieg aus. Ludwig XIV. glaubte im Namen seiner Schwägerin Liselotte, Schwester des verstorbenen Kurfürsten Karl, Erbansprüche erheben zu können. Das wechselnde Kriegsglück weckte bei den Protestanten zeitweilig die Hoffnung, das Simultaneum abschütteln zu können. Ludwig XIV. gab gemäß dem Frieden von Ryswyck die meisten reunierten Länder den früheren Besitzern zurück, darunter auch das Herzogtum Zweibrücken, doch die Herrschaft Guttenberg blieb weiter unter der Kontrolle der französischen Krone.
Gustav-Samuel war im Jahr 1696 in Rom zum katholischen Glauben übergetreten, was die Lutheranern der Herrschaft Guttenberg ängstigte. Doch seine Ehe mit der zwölf Jahre älteren Dorothea von Veldenz brachte im wenig Glück. Sie war die Tochter von Leopold-Ludwig und die Letzte aus dem Geschlecht des Pfalzgrafen Ruprecht. Der Papst verweigerte mehrfach die Anerkennung dieser Ehe wegen Blutsverwandtschaft und Bekenntnisunterschied. Trotz der Eheschwierigkeiten übertrug Dorothea durch Vertrag vom 13. April 1718 und 24. April 1723 ihre Güter ihrem Mann.
Die Scheidung 1723 beunruhigte die Protestanten erneut. Die religiösen Verhältnisse erfuhren durch den Ryswycker Frieden im Guttenbergischen keine Änderung gegenüber dem „Normaljahr“ 1624. Das Simultaneum war durch die Liste Chamoy aufs neue garantiert, die Franzosen gaben jedoch die Herrschaft Guttenberg nicht aus der Hand. Es blieb bei der berühmten Klausel: „an allen restituierten Orten bleibt die römisch-katholische Religion in dem Zustand, in welchen sie jetzt ist“. Auch die Friedensverhandlungen von Rastatt brachte den Protestanten nicht die erwünschte Aufhebung dieser Ryswycker Religionsklausel; die Sonderlage des Amtes Guttenberg, eines „baillage contesté“ blieb unverändert, sodass Ludwig XIV weiterhin dieses Gebiet nach französischem Recht verwaltete.